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А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  AZ

 

Aus keinem anderen Grund, aber es scheint ein genьgender Grund zu sein. Ich kann dir die Briefstelle, die dich betrifft, vorlesen.« Er zog den Brief aus der Brieftasche. »Hier ist es. Sie schreibt: ›Josef habe ich schon lange nicht gesehen, vorige Woche war ich einmal in der Bank, aber Josef war so beschдftigt, daЯ ich nicht vorgelassen wurde; ich habe fast eine Stunde gewartet, muЯte dann aber nach Hause, weil ich Klavierstunde hatte. Ich hдtte gern mit ihm gesprochen, vielleicht wird sich nдchstens eine Gelegenheit finden. Zu meinem Namenstag hat er mir eine groЯe Schachtel Schokolade geschickt, es war sehr lieb und aufmerksam. Ich hatte vergessen, es Euch damals zu schreiben, erst jetzt, da Ihr mich fragt, erinnere ich mich daran. Schokolade, mьЯt Ihr wissen, verschwindet nдmlich in der Pension sofort, kaum ist man zum BewuЯtsein dessen gekommen, daЯ man mit Schokolade beschenkt worden ist, ist sie auch schon weg. Aber was Josef betrifft, wollte ich Euch noch etwas sagen. Wie erwдhnt, wurde ich in der Bank nicht zu ihm vorgelassen, weil er gerade mit einem Herrn verhandelte. Nachdem ich eine Zeitlang ruhig gewartet hatte, fragte ich einen Diener, ob die Verhandlung noch lange dauern werde. Er sagte, das dьrfte wohl sein, denn es handle sich wahrscheinlich um den ProzeЯ, der gegen den Herrn Prokuristen gefьhrt werde. Ich fragte, was denn das fьr ein ProzeЯ sei, ob er sich nicht irre, er aber sagte, er irre sich nicht, es sei ein ProzeЯ, und zwar ein schwerer ProzeЯ, mehr aber wisse er nicht. Er selbst mцchte dem Herrn Prokuristen gerne helfen, denn dieser sei ein guter und gerechter Herr, aber er wisse nicht, wie er es anfangen sollte, und er mцchte nur wьnschen, daЯ sich einfluЯreiche Herren seiner annehmen wьrden. Dies werde auch sicher geschehen, und es werde schlieЯlich ein gutes Ende nehmen, vorlдufig aber stehe es, wie er aus der Laune des Herrn Prokuristen entnehmen kцnne, gar nicht gut. Ich legte diesen Reden natьrlich nicht viel Bedeutung bei, suchte auch den einfдltigen Diener zu beruhigen, verbot ihm, anderen gegenьber davon zu sprechen, und halte das Ganze fьr ein Geschwдtz. Trotzdem wдre es vielleicht gut, wenn Du, liebster Vater, bei Deinem nдchsten Besuch der Sache nachgehen wolltest, es wird Dir leicht sein, Genaueres zu erfahren und, wenn es wirklich nцtig sein sollte, durch Deine groЯen, einfluЯreichen Bekanntschaften einzugreifen. Sollte es aber nicht nцtig sein, was ja das wahrscheinlichste ist, so wird es wenigstens Deiner Tochter bald Gelegenheit geben, Dich zu umarmen, was sie freuen wьrde.‹ – Ein gutes Kind«, sagte der Onkel, als er die Vorlesung beendet hatte, und wischte einige Trдnen aus den Augen fort. K. nickte, er hatte infolge der verschiedenen Stцrungen der letzten Zeit vollstдndig Erna vergessen, sogar ihren Geburtstag hatte er vergessen, und die Geschichte von der Schokolade war offenbar nur zu dem Zweck erfunden, um ihn vor Onkel und Tante in Schutz zu nehmen. Es war sehr rьhrend, und mit den Theaterkarten, die er ihr von jetzt ab regelmдЯig schicken wollte, gewiЯ nicht genьgend belohnt, aber zu Besuchen in der Pension und zu Unterhaltungen mit einer kleinen achtzehnjдhrigen Gymnasiastin fьhlte er sich jetzt nicht geeignet. »Und was sagst du jetzt?« fragte der Onkel, der durch den Brief alle Eile und Aufregung vergessen hatte und ihn noch einmal zu lesen schien. »Ja, Onkel«, sagte K., »es ist wahr.« »Wahr?« rief der Onkel. »Was ist wahr? Wie kann es denn wahr sein? Was fьr ein ProzeЯ? Doch nicht ein StrafprozeЯ?« »Ein StrafprozeЯ«, antwortete K. »Und du sitzt ruhig hier und hast einen StrafprozeЯ auf dem Halse?« rief der Onkel, der immer lauter wurde. »Je ruhiger ich bin, desto besser ist es fьr den Ausgang«, sagte K. mьde, »fьrchte nichts.« »Das kann mich nicht beruhigen!« rief der Onkel, »Josef, lieber Josef, denke an dich, an deine Verwandten, an unsern guten Namen! Du warst bisher unsere Ehre, du darfst nicht unsere Schande werden. Deine Haltung«, er sah K. mit schief geneigtem Kopfe an, »gefallt mir nicht, so verhдlt sich kein unschuldig Angeklagter, der noch bei Krдften ist. Sag mir nur schnell, worum es sich handelt, damit ich dir helfen kann. Es handelt sich natьrlich um die Bank?« »Nein«, sagte K. und stand auf, »du sprichst aber zu laut, lieber Onkel, der Diener steht wahrscheinlich an der Tьr und horcht. Das ist mir unangenehm. Wir wollen lieber weggehen. Ich werde dir dann alle Fragen, so gut es geht, beantworten. Ich weiЯ sehr gut, daЯ ich der Familie Rechenschaft schuldig bin.« »Richtig!« schrie der Onkel, »sehr richtig, beeile dich nur, Josef, beeile dich!« »Ich muЯ nur noch einige Auftrдge geben«, sagte K. und berief telephonisch seinen Vertreter zu sich, der in wenigen Augenblicken eintrat. Der Onkel, in seiner Aufregung, zeigte ihm mit der Hand, daЯ K. ihn habe rufen lassen, woran auch sonst kein Zweifel gewesen wдre. K., der vor dem Schreibtisch stand, erklдrte dem jungen Mann, der kьhl, aber aufmerksam zuhцrte, mit leiser Stimme unter Zuhilfenahme verschiedener Schriftstьcke, was in seiner Abwesenheit heute noch erledigt werden mьsse. Der Onkel stцrte, indem er zuerst mit groЯen Augen und nervцsem LippenbeiЯen dabeistand, ohne allerdings zuzuhцren, aber der Anschein dessen war schon stцrend genug. Dann aber ging er im Zimmer auf und ab und blieb hie und da vor dem Fenster oder vor einem Bild stehen, wobei er immer in verschiedene Ausrufe ausbrach, wie: »Mir ist es vollstдndig unbegreiflich!« oder »Jetzt sagt mir nur, was soll denn daraus werden!« Der junge Mann tat, als bemerke er nichts davon, hцrte ruhig K.s Auftrдge bis zu Ende an, notierte sich auch einiges und ging, nachdem er sich vor K. wie auch vor dem Onkel verneigt hatte, der ihm aber gerade den Rьcken zukehrte, aus dem Fenster sah und mit ausgestreckten Hдnden die Vorhдnge zusammenknьllte. Die Tьr hatte sich noch kaum geschlossen, als der Onkel ausrief: »Endlich ist der Hampelmann weggegangen, jetzt kцnnen doch auch wir gehen. Endlich!« Es gab leider kein Mittel, den Onkel zu bewegen, in der Vorhalle, wo einige Beamte und Diener herumstanden und die gerade auch der Direktor-Stellvertreter kreuzte, die Fragen wegen des Prozesses zu unterlassen. »Also, Josef«, begann der Onkel, wдhrend er die Verbeugungen der Umstehenden durch leichtes Salutieren beantwortete, »jetzt sag mir offen, was es fьr ein ProzeЯ ist.« K. machte einige nichtssagende Bemerkungen, lachte auch ein wenig, und erst auf der Treppe erklдrte er dem Onkel, daЯ er vor den Leuten nicht habe offen reden wollen. »Richtig«, sagte der Onkel, »aber jetzt rede.« Mit geneigtem Kopf, eine Zigarre in kurzen, eiligen Zьgen rauchend, hцrte er zu. »Vor allem, Onkel«, sagte K., »handelt es sich gar nicht um einen ProzeЯ vor dem gewцhnlichen Gericht.« »Das ist schlimm«, sagte der Onkel. »Wie?« sagte K. und sah den Onkel an. »DaЯ das schlimm ist, meine ich«, wiederholte der Onkel. Sie standen auf der Freitreppe, die zur StraЯe fьhrte; da der Portier zu horchen schien, zog K. den Onkel hinunter; der lebhafte StraЯenverkehr nahm sie auf. Der Onkel, der sich in K. eingehдngt hatte, fragte nicht mehr so dringend nach dem ProzeЯ, sie gingen sogar eine Zeitlang schweigend weiter. »Wie ist es aber geschehen?« fragte endlich der Onkel, so plцtzlich stehenbleibend, daЯ die hinter ihm gehenden Leute erschreckt auswichen. »Solche Dinge kommen doch nicht plцtzlich, sie bereiten sich seit langem vor, es mьssen Anzeichen dessen gewesen sein, warum hast du mir nicht geschrieben? Du weiЯt, daЯ ich fьr dich alles tue, ich bin ja gewissermaЯen noch dein Vormund und war bis heute stolz darauf. Ich werde dir natьrlich auch jetzt noch helfen, nur ist es jetzt, wenn der ProzeЯ schon im Gange ist, sehr schwer. Am besten wдre es jedenfalls, wenn du dir jetzt einen kleinen Urlaub nimmst und zu uns aufs Land kommst. Du bist auch ein wenig abgemagert, jetzt merke ich es. Auf dem Land wirst du dich krдftigen, das wird gut sein, es stehen dir ja gewiЯ Anstrengungen bevor. AuЯerdem aber wirst du dadurch dem Gericht gewissermaЯen entzogen sein. Hier haben sie alle mцglichen Machtmittel, die sie notwendigerweise automatisch auch dir gegenьber anwenden; auf das Land mьЯten sie aber erst Organe delegieren oder nur brieflich, telegraphisch, telephonisch auf dich einzuwirken suchen. Das schwдcht natьrlich die Wirkung ab, befreit dich zwar nicht, aber lдЯt dich aufatmen.« »Sie kцnnten mir ja verbieten, wegzufahren«, sagte K., den die Rede des Onkels ein wenig in ihren Gedankengang gezogen hatte. »Ich glaube nicht, daЯ sie das tun werden«, sagte der Onkel nachdenklich, »so groЯ ist der Verlust an Macht nicht, den sie durch deine Abreise erleiden.« »Ich dachte«, sagte K. und faЯte den Onkel unterm Arm, um ihn am Stehenbleiben hindern zu kцnnen, »daЯ du dem Ganzen noch weniger Bedeutung beimessen wьrdest als ich, und jetzt nimmst du es selbst so schwer.« »Josef«, rief der Onkel und wollte sich ihm entwinden, um stehenbleiben zu kцnnen, aber K. lieЯ ihn nicht, »du bist verwandelt, du hattest doch immer ein so richtiges Auffassungsvermцgen, und gerade jetzt verlдЯt es dich? Willst du denn den ProzeЯ verlieren? WeiЯt du, was das bedeutet? Das bedeutet, daЯ du einfach gestrichen wirst. Und daЯ die ganze Verwandtschaft mitgerissen oder wenigstens bis auf den Boden gedemьtigt wird. Josef, nimm dich doch zusammen. Deine Gleichgьltigkeit bringt mich um den Verstand. Wenn man dich ansieht, mцchte man fast dem Sprichwort glauben: ›Einen solchen ProzeЯ haben, heiЯt ihn schon verloren haben‹.«
»Lieber Onkel«, sagte K., »die Aufregung ist so unnьtz, sie ist es auf deiner Seite und wдre es auch auf meiner. Mit Aufregung gewinnt man die Prozesse nicht, laЯ auch meine praktischen Erfahrungen ein wenig gelten, so wie ich deine, selbst wenn sie mich ьberraschen, immer und auch jetzt sehr achte.
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