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А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  AZ

 

Es zeigte sich aber, daЯ das meistens ohne weiteres mцglich war, denn fast alle Tьren standen offen und die Kinder liefen ein und aus. Es waren in der Regel kleine, einfenstrige Zimmer, in denen auch gekocht wurde. Manche Frauen hielten Sдuglinge im Arm und arbeiteten mit der freien Hand auf dem Herd. Halbwьchsige, scheinbar nur mit Schьrzen bekleidete Mдdchen liefen am fleiЯigsten hin und her. In allen Zimmern standen die Betten noch in Benьtzung, es lagen dort Kranke oder noch Schlafende oder Leute, die sich dort in Kleidern streckten. An den Wohnungen, deren Tьren geschlossen waren, klopfte K. an und fragte, ob hier ein Tischler Lanz wohne. Meistens цffnete eine Frau, hцrte die Frage an und wandte sich ins Zimmer zu jemandem, der sich aus dem Bett erhob. »Der Herr fragt, ob ein Tischler Lanz hier wohnt.« »Tischler Lanz?« fragte der aus dem Bett. »Ja«, sagte K., obwohl sich hier die Untersuchungskommission zweifellos nicht befand und daher seine Aufgabe beendet war. Viele glaubten, es liege K. sehr viel daran, den Tischler Lanz zu finden, dachten lange nach, nannten seine Tischler, der aber nicht Lanz hieЯ, oder einen Namen, der mit Lanz eine ganz entfernte Дhnlichkeit hatte, oder sie fragten bei Nachbarn oder begleiteten K. zu einer weit entfernten Tьr, wo ihrer Meinung nach ein derartiger Mann mцglicherweise in Aftermiete wohne oder wo jemand sei, der bessere Auskunft als sie selbst geben kцnne. SchlieЯlich muЯte K. kaum mehr selbst fragen, sondern wurde auf diese Weise durch die Stockwerke gezogen. Er bedauerte seinen Plan, der ihm zuerst so praktisch erschienen war. Vor dem fьnften Stockwerk entschloЯ er sich, die Suche aufzugeben, verabschiedete sich von einem freundlichen, jungen Arbeiter, der ihn weiter hinauffьhren wollte, und ging hinunter. Dann aber дrgerte ihn wieder das Nutzlose dieser ganzen Unternehmung, er ging nochmals zurьck und klopfte an die erste Tьr des fьnften Stockwerkes. Das erste, was er in dem kleinen Zimmer sah, war eine groЯe Wanduhr, die schon zehn Uhr zeigte. »Wohnt ein Tischler Lanz hier?« fragte er. »Bitte«, sagte eine junge Frau mit schwarzen, leuchtenden Augen, die gerade in einem Kьbel Kinderwдsche wusch, und zeigte mit der nassen Hand auf die offene Tьr des Nebenzimmers.
K. glaubte in eine Versammlung einzutreten. Ein Gedrдnge der verschiedensten Leute – niemand kьmmerte sich um den Eintretenden – fьllte ein mittelgroЯes, zweifenstriges Zimmer, das knapp an der Decke von einer Galerie umgeben war, die gleichfalls vollstдndig besetzt war und wo die Leute nur gebьckt stehen konnten und mit Kopf und Rьcken an die Decke stieЯen. K., dem die Luft zu dumpf war, trat wieder hinaus und sagte zu der jungen Frau, die ihn wahrscheinlich falsch verstanden hatte: »Ich habe nach einem Tischler, einem gewissen Lanz, gefragt?« »Ja«, sagte die Frau, »gehen Sie, bitte, hinein.« K. hдtte ihr vielleicht nicht gefolgt, wenn die Frau nicht auf ihn zugegangen wдre, die Tьrklinke ergriffen und gesagt hдtte: »Nach Ihnen muЯ ich schlieЯen, es darf niemand mehr hinein.« »Sehr vernьnftig«, sagte K., »es ist aber jetzt schon zu voll.« Dann ging er aber doch wieder hinein.
Zwischen zwei Mдnnern hindurch, die sich unmittelbar bei der Tьr unterhielten – der eine machte mit beiden, weit vorgestreckten Hдnden die Bewegung des Geldaufzдhlens, der andere sah ihm scharf in die Augen –, faЯte eine Hand nach K. Es war ein kleiner, rotbдckiger Junge. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte er. K. lieЯ sich von ihm fьhren, es zeigte sich, daЯ in dem durcheinanderwimmelnden Gedrдnge doch ein schmaler Weg frei war, der mцglicherweise zwei Parteien schied; dafьr sprach auch, daЯ K. in den ersten Reihen rechts und links kaum ein ihm zugewendetes Gesicht sah, sondern nur die Rьcken von Leuten, welche ihre Reden und Bewegungen nur an Leute ihrer Partei richteten. Die meisten waren schwarz angezogen, in alten, lang und lose hinunterhдngenden Feiertagsrцcken. Nur diese Kleidung beirrte K., sonst hдtte er das Ganze fьr eine politische Bezirksversammlung angesehen.
Am anderen Ende des Saales, zu dem K. gefьhrt wurde, stand auf einem sehr niedrigen, gleichfalls ьberfьllten Podium ein kleiner Tisch, der Quere nach aufgestellt, und hinter ihm, nahe am Rand des Podiums, saЯ ein kleiner, dicker, schnaufender Mann, der sich gerade mit einem hinter ihm Stehenden – dieser hatte den Ellbogen auf die Sessellehne gestьtzt und die Beine gekreuzt – unter groЯem Gelдchter unterhielt. Manchmal warf er den Arm in die Luft, als karikiere er jemanden. Der Junge, der K. fьhrte, hatte Mьhe, seine Meldung vorzubringen. Zweimal hatte er schon, auf den FuЯspitzen stehend, etwas auszurichten versucht, ohne von dem Mann oben beachtet worden zu sein. Erst als einer der Leute oben auf dem Podium auf den Jungen aufmerksam machte, wandte sich der Mann ihm zu und hцrte hinuntergebeugt seinen leisen Bericht an. Dann zog er seine Uhr und sah schnell nach K. hin. »Sie hдtten vor einer Stunde und fьnf Minuten erscheinen sollen«, sagte er. K. wollte etwas antworten, aber er hatte keine Zeit, denn kaum hatte der Mann ausgesprochen, erhob sich in der rechten Saalhдlfte ein allgemeines Murren. »Sie hдtten vor einer Stunde und fьnf Minuten erscheinen sollen«, wiederholte nun der Mann mit erhobener Stimme und sah nun auch schnell in den Saal hinunter. Sofort wurde auch das Murren stдrker und verlor sich, da der Mann nichts mehr sagte, nur allmдhlich. Es war jetzt im Saal viel stiller als bei K.s Eintritt. Nur die Leute auf der Galerie hцrten nicht auf, ihre Bemerkungen zu machen. Sie schienen, soweit man oben in dem Halbdunkel, Dunst und Staub etwas unterscheiden konnte, schlechter angezogen zu sein als die unten. Manche hatten Polster mitgebracht, die sie zwischen den Kopf und die Zimmerdecke gelegt hatten, um sich nicht wundzudrьcken.
K. hatte sich entschlossen, mehr zu beobachten als zu reden, infolgedessen verzichtete er auf die Verteidigung wegen seines angeblichen Zuspдtkommens und sagte bloЯ: »Mag ich zu spдt gekommen sein, jetzt bin ich hier.« Ein Beifallklatschen, wieder aus der rechten Saalhдlfte, folgte. Leicht zu gewinnende Leute, dachte K. und war nur gestцrt durch die Stille in der linken Saalhдlfte, die gerade hinter ihm lag und aus der sich nur ganz vereinzeltes Hдndeklatschen erhoben hatte. Er dachte nach, was er sagen kцnnte, um alle auf einmal oder, wenn das nicht mцglich sein sollte, wenigstens zeitweilig auch die anderen zu gewinnen.
»Ja«, sagte der Mann, »aber ich bin nicht mehr verpflichtet, Sie jetzt zu verhцren« – wieder das Murren, diesmal aber miЯverstдndlich, denn der Mann fuhr, indem er den Leuten mit der Hand abwinkte, fort, – »ich will es jedoch ausnahmsweise heute noch tun. Eine solche Verspдtung darf sich aber nicht mehr wiederholen. Und nun treten Sie vor!« Irgend jemand sprang vom Podium hinunter, so daЯ fьr K. ein Platz frei wurde, auf den er hinaufstieg. Er stand eng an den Tisch gedrьckt, das Gedrдnge hinter ihm war so groЯ, daЯ er ihm Widerstand leisten muЯte, wollte er nicht den Tisch des Untersuchungsrichters und vielleicht auch diesen selbst vom Podium hinunterstoЯen. Der Untersuchungsrichter kьmmerte sich aber nicht darum, sondern saЯ recht bequem auf seinem Sessel und griff, nachdem er dem Mann hinter ihm ein abschlieЯendes Wort gesagt hatte, nach einem kleinen Anmerkungsbuch, dem einzigen Gegenstand auf seinem Tisch. Es war schulheftartig, alt, durch vieles Blдttern ganz aus der Form gebracht. »Also«, sagte der Untersuchungsrichter, blдtterte in dem Heft und wandte sich im Tone einer Feststellung an K., »Sie sind Zimmermaler?« »Nein«, sagte K., »sondern erster Prokurist einer groЯen Bank.« Dieser Antwort folgte bei der rechten Partei unten ein Gelдchter, das so herzlich war, daЯ K. mitlachen muЯte. Die Leute stьtzten sich mit den Hдnden auf ihre Knie und schьttelten sich wie unter schweren Hustenanfдllen. Es lachten sogar einzelne auf der Galerie. Der ganz bцse gewordene Untersuchungsrichter, der wahrscheinlich gegen die Leute unten machtlos war, suchte sich an der Galerie zu entschдdigen, sprang auf, drohte der Galerie, und seine sonst wenig auffallenden Augenbrauen drдngten sich buschig, schwarz und groЯ ьber seinen Augen.
Die linke Saalhдlfte war aber noch immer still, die Leute standen dort in Reihen, hatten ihre Gesichter dem Podium zugewendet und hцrten den Worten, die oben gewechselt wurden, ebenso ruhig zu wie dem Lдrm der anderen Partei, sie duldeten sogar, daЯ einzelne aus ihren Reihen mit der anderen Partei hie und da gemeinsam vorgingen. Die Leute der linken Partei, die ьbrigens weniger zahlreich waren, mochten im Grunde ebenso unbedeutend sein wie die der rechten Partei, aber die Ruhe ihres Verhaltens lieЯ sie bedeutungsvoller erscheinen. Als K. jetzt zu reden begann, war er ьberzeugt, in ihrem Sinne zu sprechen.
»Ihre Frage, Herr Untersuchungsrichter, ob ich Zimmermaler bin – vielmehr, Sie haben gar nicht gefragt, sondern es mir auf den Kopf zugesagt –, ist bezeichnend fьr die ganze Art des Verfahrens, das gegen mich gefьhrt wird. Sie kцnnen einwenden, daЯ es ja ьberhaupt kein Verfahren ist, Sie haben sehr recht, denn es ist ja nur ein Verfahren, wenn ich es als solches anerkenne. Aber ich erkenne es also fьr den Augenblick jetzt an, aus Mitleid gewissermaЯen. Man kann sich nicht anders als mitleidig dazu stellen, wenn man es ьberhaupt beachten will. Ich sage nicht, daЯ es ein liederliches Verfahren ist, aber ich mцchte Ihnen diese Bezeichnung zur Selbsterkenntnis angeboten haben.«
K. unterbrach sich und sah in den Saal hinunter. Was er gesagt hatte, war scharf, schдrfer, als er es beabsichtigt hatte, aber doch richtig. Es hдtte Beifall hier oder dort verdient, es war jedoch alles still, man wartete offenbar gespannt auf das Folgende, es bereitete sich vielleicht in der Stille ein Ausbruch vor, der allem ein Ende machen wьrde.
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