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А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  AZ

 

»Sie haben die Figur so gemalt, wie sie auf dem Thronsessel wirklich steht.« »Nein«, sagte der Maler, »ich habe weder die Figur noch den Thronsessel gesehen, das alles ist Erfindung, aber es wurde mir angegeben, was ich zu malen habe.« »Wie?« fragte K., er tat absichtlich, als verstehe er den Maler nicht vцllig, »es ist doch ein Richter, der auf dem Richterstuhl sitzt?« »Ja«, sagte der Maler, »aber er ist kein hoher Richter und ist niemals auf einem solchen Thronsessel gesessen.« »Und lдЯt sich doch in so feierlicher Haltung malen? Er sitzt ja da wie ein Gerichtsprдsident.« »Ja, eitel sind die Herren«, sagte der Maler. »Aber sie haben die hцhere Erlaubnis, sich so malen zu lassen. Jedem ist genau vorgeschrieben, wie er sich malen lassen darf. Nur kann man leider gerade nach diesem Bilde die Einzelheiten der Tracht und des Sitzes nicht beurteilen, die Pastellfarben sind fьr solche Darstellungen nicht geeignet.« »Ja«, sagte K., »es ist sonderbar, daЯ es in Pastellfarben gemalt ist.« »Der Richter wьnschte es so«, sagte der Maler, »es ist fьr eine Dame bestimmt.« Der Anblick des Bildes schien ihm Lust zur Arbeit gemacht zu haben, er krempelte die Hemdдrmel aufwдrts, nahm einige Stifte in die Hand, und K. sah zu, wie unter den zitternden Spitzen der Stifte anschlieЯend an den Kopf des Richters ein rцtlicher Schatten sich bildete, der strahlenfцrmig gegen den Rand des Bildes verging. Allmдhlich umgab dieses Spiel des Schattens den Kopf wie ein Schmuck oder eine hohe Auszeichnung. Um die Figur der Gerechtigkeit aber blieb es bis auf eine unmerkliche Tцnung hell, in dieser Helligkeit schien die Figur besonders vorzudringen, sie erinnerte kaum mehr an die Gцttin der Gerechtigkeit, aber auch nicht an die des Sieges, sie sah jetzt vielmehr vollkommen wie die Gцttin der Jagd aus. Die Arbeit des Malers zog K. mehr an, als er wollte; schlieЯlich aber machte er sich doch Vorwьrfe, daЯ er so lange schon hier war und im Grunde noch nichts fьr seine eigene Sache unternommen hatte. »Wie heiЯt dieser Richter?« fragte er plцtzlich. »Das darf ich nicht sagen«, antwortete der Maler, er war tief zum Bild hinabgebeugt und vernachlдssigte deutlich seinen Gast, den er doch zuerst so rьcksichtsvoll empfangen hatte. K. hielt das fьr eine Laune und дrgerte sich darьber, weil er dadurch Zeit verlor. »Sie sind wohl ein Vertrauensmann des Gerichtes?« fragte er. Sofort legte der Maler die Stifte beiseite, richtete sich auf, rieb die Hдnde aneinander und sah K. lдchelnd an. »Nur immer gleich mit der Wahrheit heraus«, sagte er, »Sie wollen etwas ьber das Gericht erfahren, wie es ja auch in Ihrem Empfehlungsschreiben steht, und haben zunдchst ьber meine Bilder gesprochen, um mich zu gewinnen. Aber ich nehme das nicht ьbel, Sie konnten ja nicht wissen, daЯ das bei mir unangebracht ist. Oh, bitte!« sagte er scharf abwehrend, als K. etwas einwenden wollte. Und fuhr dann fort: »Im ьbrigen haben Sie mit Ihrer Bemerkung vollstдndig recht, ich bin ein Vertrauensmann des Gerichtes.« Er machte eine Pause, als wolle er K. Zeit lassen, sich mit dieser Tatsache abzufinden. Man hцrte jetzt wieder hinter der Tьr die Mдdchen. Sie drдngten sich wahrscheinlich um das Schlьsselloch, vielleicht konnte man auch durch die Ritzen ins Zimmer hineinsehen. K. unterlieЯ es, sich irgendwie zu entschuldigen, denn er wollte den Maler nicht ablenken, wohl aber wollte er nicht, daЯ der Maler sich allzusehr ьberhebe und sich auf diese Weise gewissermaЯen unerreichbar mache, er fragte deshalb: »Ist das eine цffentlich anerkannte Stellung?« »Nein«, sagte der Maler kurz, als sei ihm dadurch die weitere Rede verschlagen. K. wollte ihn aber nicht verstummen lassen und sagte: »Nun, oft sind derartige nichtanerkannte Stellungen einfluЯreicher als die anerkannten.« »Das ist eben bei mir der Fall«, sagte der Maler und nickte mit zusammengezogener Stirn. »Ich sprach gestern mit dem Fabrikanten ьber Ihren Fall, er fragte mich, ob ich Ihnen nicht helfen wollte, ich antwortete: ›Der Mann kann ja einmal zu mir kommen‹, und nun freue ich mich, Sie so bald hier zu sehen. Die Sache scheint Ihnen ja sehr nahezugehen, worьber ich mich natьrlich gar nicht wundere. Wollen Sie vielleicht zunдchst Ihren Rock ablegen?« Obwohl K. beabsichtigte, nur ganz kurze Zeit hierzubleiben, war ihm diese Aufforderung des Malers doch sehr willkommen. Die Luft im Zimmer war ihm allmдhlich drьckend geworden, цfters hatte er schon verwundert auf einen kleinen, zweifellos nicht geheizten Eisenofen in der Ecke hingesehen, die Schwьle im Zimmer war unerklдrlich. Wдhrend er den Winterrock ablegte und auch noch den Rock aufknцpfte, sagte der Maler, sich entschuldigend: »Ich muЯ Wдrme haben. Es ist hier doch sehr behaglich, nicht? Das Zimmer ist in dieser Hinsicht sehr gut gelegen.« K. sagte nichts dazu, aber es war eigentlich nicht die Wдrme, die ihm Unbehagen machte, es war vielmehr die dumpfe, das Atmen fast behindernde Luft, das Zimmer war wohl schon lange nicht gelьftet. Diese Unannehmlichkeit wurde fьr K. dadurch verstдrkt, daЯ ihn der Maler bat, sich auf das Bett zu setzen, wдhrend er selbst sich auf den einzigen Stuhl des Zimmers vor der Staffelei niedersetzte. AuЯerdem schien es der Maler miЯzuverstehen, warum K. nur am Bettrand blieb, er bat vielmehr, K. mцchte es sich bequem machen und ging, da K. zцgerte, selbst hin und drдngte ihn tief in die Betten und Polster hinein. Dann kehrte er wieder zu seinem Sessel zurьck und stellte endlich die erste sachliche Frage, die K. alles andere vergessen lieЯ. »Sie sind unschuldig?« fragte er. »Ja«, sagte K. Die Beantwortung dieser Frage machte ihm geradezu Freude, besonders da sie gegenьber einem Privatmann, also ohne jede Verantwortung erfolgte. Noch niemand hatte ihn so offen gefragt. Um diese Freude auszukosten, fьgte er noch hinzu: »Ich bin vollstдndig unschuldig.« »So«, sagte der Maler, senkte den Kopf und schien nachzudenken. Plцtzlich hob er wieder den Kopf und sagte: »Wenn Sie unschuldig sind, dann ist ja die Sache sehr einfach.« K.s Blick trьbte sich, dieser angebliche Vertrauensmann des Gerichtes redete wie ein unwissendes Kind. »Meine Unschuld vereinfacht die Sache nicht«, sagte K. Er muЯte trotz allem lдcheln und schьttelte langsam den Kopf. »Es kommt auf viele Feinheiten an, in denen sich das Gericht verliert. Zum SchluЯ aber zieht es von irgendwoher, wo ursprьnglich gar nichts gewesen ist, eine groЯe Schuld hervor.« »Ja, ja gewiЯ«, sagte der Maler, als stцre K. unnцtigerweise seinen Gedankengang. »Sie sind aber doch unschuldig?« »Nun ja«, sagte K. »Das ist die Hauptsache«, sagte der Maler. Er war durch Gegengrьnde nicht zu beeinflussen, nur war es trotz seiner Entschiedenheit nicht klar, ob er aus Ьberzeugung oder nur aus Gleichgьltigkeit so redete. K. wollte das zunдchst feststellen und sagte deshalb: »Sie kennen ja gewiЯ das Gericht viel besser als ich, ich weiЯ nicht viel mehr, als was ich darьber, allerdings von ganz verschiedenen Leuten, gehцrt habe. Darin stimmten aber alle ьberein, daЯ leichtsinnige Anklagen nicht erhoben werden und daЯ das Gericht, wenn es einmal anklagt, fest von der Schuld des Angeklagten ьberzeugt ist und von dieser Ьberzeugung nur schwer abgebracht werden kann.« »Schwer?« fragte der Maler und warf eine Hand in die Hцhe. »Niemals ist das Gericht davon abzubringen. Wenn ich hier alle Richter nebeneinander auf eine Leinwand male und Sie werden sich vor dieser Leinwand verteidigen, so werden Sie mehr Erfolg haben als vor dem wirklichen Gericht.« »Ja«, sagte K. fьr sich und vergaЯ, daЯ er den Maler nur hatte ausforschen wollen.
Wieder begann ein Mдdchen hinter der Tьr zu fragen: »Titorelli, wird er denn nicht schon bald weggehen?« »Schweigt!« rief der Maler zur Tьr hin, »seht ihr denn nicht, daЯ ich mit dem Herrn eine Besprechung habe?« Aber das Mдdchen gab sich damit nicht zufrieden, sondern fragte: »Du wirst ihn malen?« Und als der Maler nicht antwortete, sagte sie noch: »Bitte, mal ihn nicht, einen so hдЯlichen Menschen.« Ein Durcheinander unverstдndlicher zustimmender Zurufe folgte. Der Maler machte einen Sprung zur Tьr, цffnete sie bis zu einem Spalt – man sah die bittend vorgestreckten, gefalteten Hдnde der Mдdchen – und sagte: »Wenn ihr nicht still seid, werfe ich euch alle die Treppe hinunter. Setzt euch hier auf die Stufen und verhaltet euch ruhig.« Wahrscheinlich folgten sie nicht gleich, so daЯ er kommandieren muЯte: »Nieder auf die Stufen!« Erst dann wurde es still.
»Verzeihen Sie«, sagte der Maler, als er zu K. wieder zurьckkehrte. K. hatte sich kaum zur Tьr hingewendet, er hatte es vollstдndig dem Maler ьberlassen, ob und wie er ihn in Schutz nehmen wollte. Er machte auch jetzt kaum eine Bewegung, als sich der Maler zu ihm niederbeugte und ihm, um drauЯen nicht gehцrt zu werden, ins Ohr flьsterte: »Auch diese Mдdchen gehцren zum Gericht.« »Wie?« fragte K., wich mit dem Kopf zur Seite und sah den Maler an. Dieser aber setzte sich wieder auf seinen Sessel und sagte halb im Scherz, halb zur Erklдrung: »Es gehцrt ja alles zum Gericht.« »Das habe ich noch nicht bemerkt«, sagte K. kurz, die allgemeine Bemerkung des Malers nahm dem Hinweis auf die Mдdchen alles Beunruhigende. Trotzdem sah K. ein Weilchen lang zur Tьr hin, hinter der die Mдdchen jetzt still auf den Stufen saЯen. Nur eines hatte einen Strohhalm durch eine Ritze zwischen den Balken gesteckt und fьhrte ihn langsam auf und ab.
»Sie scheinen noch keinen Ьberblick ьber das Gericht zu haben«, sagte der Maler, er hatte die Beine weit auseinandergestreckt und klatschte mit den FuЯspitzen auf den Boden. »Da Sie aber unschuldig sind, werden Sie ihn auch nicht benцtigen. Ich allein hole Sie heraus.« »Wie wollen Sie das tun?« fragte K. »Da Sie doch vor kurzem selbst gesagt haben, daЯ das Gericht fьr Beweisgrьnde vollstдndig unzugдnglich ist.
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