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А  Б  В  Г  Д  Е  Ж  З  И  Й  К  Л  М  Н  О  П  Р  С  Т  У  Ф  Х  Ц  Ч  Ш  Щ  Э  Ю  Я  AZ

 

« K., durch diese Erklдrung ein wenig getrцstet, blickte herum, um die zweite Tьr zu finden. Der Maler bemerkte das und sagte: »Sie ist hinter Ihnen, ich muЯte sie durch das Bett verstellen.« Jetzt erst sah K. die kleine Tьr in der Wand. »Es ist eben hier alles viel zu klein fьr ein Atelier«, sagte der Maler, als wolle er einem Tadel K.s zuvorkommen. »Ich muЯte mich einrichten, so gut es ging. Das Bett vor der Tьr steht natьrlich an einem sehr schlechten Platz. Der Richter zum Beispiel, den ich jetzt male, kommt immer durch die Tьr beim Bett, und ich habe ihm auch einen Schlьssel von dieser Tьr gegeben, damit er, auch wenn ich nicht zu Hause bin, hier im Atelier auf mich warten kann. Nun kommt er aber gewцhnlich frьh am Morgen, wдhrend ich noch schlafe. Es reiЯt mich natьrlich immer aus dem tiefsten Schlaf, wenn sich neben dem Bett die Tьr цffnet. Sie wьrden jede Ehrfurcht vor den Richtern verlieren, wenn Sie die Flьche hцrten, mit denen ich ihn empfange, wenn er frьh ьber mein Bett steigt. Ich kцnnte ihm allerdings den Schlьssel wegnehmen, aber es wьrde dadurch nur дrger werden. Man kann hier alle Tьren mit der geringsten Anstrengung aus den Angeln brechen.« Wдhrend dieser ganzen Rede ьberlegte K., ob er den Rock ausziehen sollte, er sah aber schlieЯlich ein, daЯ er, wenn er es nicht tat, unfдhig war, hier noch lдnger zu bleiben, er zog daher den Rock aus, legte ihn aber ьber die Knie, um ihn, falls die Besprechung zu Ende wдre, wieder anziehen zu kцnnen. Kaum hatte er den Rock ausgezogen, rief eines der Mдdchen: »Er hat schon den Rock ausgezogen!« und man hцrte, wie sich alle zu den Ritzen drдngten, um das Schauspiel selbst zu sehen. »Die Mдdchen glauben nдmlich«, sagte der Maler, »daЯ ich Sie malen werde und daЯ Sie sich deshalb ausziehen.« »So«, sagte K., nur wenig belustigt, denn er fьhlte sich nicht viel besser als frьher, obwohl er jetzt in Hemdдrmeln dasaЯ. Fast mьrrisch fragte er: »Wie nannten Sie die zwei anderen Mцglichkeiten?« Er hatte die Ausdrьcke schon wieder vergessen. »Die scheinbare Freisprechung und die Verschleppung«, sagte der Maler. »Es liegt an Ihnen, was Sie davon wдhlen. Beides ist durch meine Hilfe erreichbar, natьrlich nicht ohne Mьhe, der Unterschied in dieser Hinsicht ist der, daЯ die scheinbare Freisprechung eine gesammelte zeitweilige, die Verschleppung eine viel geringere, aber dauernde Anstrengung verlangt. Zunдchst also die scheinbare Freisprechung. Wenn Sie diese wьnschen sollten, schreibe ich auf einem Bogen Papier eine Bestдtigung Ihrer Unschuld auf. Der Text fьr eine solche Bestдtigung ist mir von meinem Vater ьberliefert und ganz unangreifbar. Mit dieser Bestдtigung mache ich nun einen Rundgang bei den mir bekannten Richtern. Ich fange also etwa damit an, daЯ ich dem Richter, den ich jetzt male, heute abend, wenn er zur Sitzung kommt, die Bestдtigung vorlege. Ich lege ihm die Bestдtigung vor, erklдre ihm, daЯ Sie unschuldig sind, und verbьrge mich fьr Ihre Unschuld. Das ist aber keine bloЯ дuЯerliche, sondern eine wirkliche, bindende Bьrgschaft.« In den Blicken des Malers lag es wie ein Vorwurf, daЯ K. ihm die Last einer solchen Bьrgschaft auferlegen wolle. »Das wдre ja sehr freundlich«, sagte K. »Und der Richter wьrde Ihnen glauben und mich trotzdem nicht wirklich freisprechen?« »Wie ich schon sagte«, antwortete der Maler. »Ьbrigens ist es durchaus nicht sicher, daЯ jeder mir glauben wьrde, mancher Richter wird zum Beispiel verlangen, daЯ ich Sie selbst zu ihm hinfьhre. Dann mьЯten Sie also einmal mitkommen. Allerdings ist in einem solchen Falle die Sache schon halb gewonnen, besonders da ich Sie natьrlich vorher genau darьber unterrichten wьrde, wie Sie sich bei dem betreffenden Richter zu verhalten haben. Schlimmer ist es bei den Richtern, die mich – auch das wird vorkommen – von vornherein abweisen. Auf diese mьssen wir, wenn ich es auch an mehrfachen Versuchen gewiЯ nicht fehlen lassen werde, verzichten, wir dьrfen das aber auch, denn einzelne Richter kцnnen hier nicht den Ausschlag geben. Wenn ich nun auf dieser Bestдtigung eine genьgende Anzahl von Unterschriften der Richter habe, gehe ich mit dieser Bestдtigung zu dem Richter, der Ihren ProzeЯ gerade fьhrt. Mцglicherweise habe ich auch seine Unterschrift, dann entwickelt sich alles noch ein wenig rascher als sonst. Im allgemeinen gibt es aber dann ьberhaupt nicht mehr viel Hindernisse, es ist dann fьr den Angeklagten die Zeit der hцchsten Zuversicht. Es ist merkwьrdig, aber wahr, die Leute sind in dieser Zeit zuversichtlicher als nach dem Freispruch. Es bedarf jetzt keiner besonderen Mьhe mehr. Der Richter besitzt in der Bestдtigung die Bьrgschaft einer Anzahl von Richtern, kann Sie unbesorgt freisprechen und wird es, allerdings nach Durchfьhrung verschiedener Formalitдten, mir und anderen Bekannten zu Gefallen zweifellos tun. Sie aber treten aus dem Gericht und sind frei.« »Dann bin ich also frei«, sagte K. zцgernd. »Ja«, sagte der Maler, »aber nur scheinbar frei oder, besser ausgedrьckt, zeitweilig frei. Die untersten Richter nдmlich, zu denen meine Bekannten gehцren, haben nicht das Recht, endgьltig freizusprechen, dieses Recht hat nur das oberste, fьr Sie, fьr mich und fьr uns alle ganz unerreichbare Gericht. Wie es dort aussieht, wissen wir nicht und wollen wir nebenbei gesagt, auch nicht wissen. Das groЯe Recht, von der Anklage zu befreien, haben also unsere Richter nicht, wohl aber haben sie das Recht, von der Anklage loszulцsen. Das heiЯt, wenn Sie auf diese Weise freigesprochen werden, sind Sie fьr den Augenblick der Anklage entzogen, aber sie schwebt auch weiterhin ьber Ihnen und kann, sobald nur der hцhere Befehl kommt, sofort in Wirkung treten. Da ich mit dem Gericht in so guter Verbindung stehe, kann ich Ihnen auch sagen, wie sich in den Vorschriften fьr die Gerichtskanzleien der Unterschied zwischen der wirklichen und der scheinbaren Freisprechung rein дuЯerlich zeigt. Bei einer wirklichen Freisprechung sollen die ProzeЯakten vollstдndig abgelegt werden, sie verschwinden gдnzlich aus dem Verfahren, nicht nur die Anklage, auch der ProzeЯ und sogar der Freispruch sind vernichtet, alles ist vernichtet. Anders beim scheinbaren Freispruch. Mit dem Akt ist keine weitere Verдnderung vor sich gegangen, als daЯ er um die Bestдtigung der Unschuld, um den Freispruch und um die Begrьndung des Freispruchs bereichert worden ist. Im ьbrigen aber bleibt er im Verfahren, er wird, wie es der ununterbrochene Verkehr der Gerichtskanzleien erfordert, zu den hцheren Gerichten weitergeleitet, kommt zu den niedrigeren zurьck und pendelt so mit grцЯeren und kleineren Schwingungen, mit grцЯeren und kleineren Stockungen auf und ab. Diese Wege sind unberechenbar. Von auЯen gesehen, kann es manchmal den Anschein bekommen, daЯ alles lдngst vergessen, der Akt verloren und der Freispruch ein vollkommener ist. Ein Eingeweihter wird das nicht glauben. Es geht kein Akt verloren, es gibt bei Gericht kein Vergessen. Eines Tages – niemand erwartet es – nimmt irgendein Richter den Akt aufmerksamer in die Hand, erkennt, daЯ in diesem Fall die Anklage noch lebendig ist, und ordnet die sofortige Verhaftung an. Ich habe hier angenommen, daЯ zwischen dem scheinbaren Freispruch und der neuen Verhaftung eine lange Zeit vergeht, das ist mцglich, und ich weiЯ von solchen Fдllen, es ist aber ebensogut mцglich, daЯ der Freigesprochene vom Gericht nach Hause kommt und dort schon Beauftragte warten, um ihn wieder zu verhaften. Dann ist natьrlich das freie Leben zu Ende.« »Und der ProzeЯ beginnt von neuem?« fragte K. fast unglдubig. »Allerdings«, sagte der Maler, »der ProzeЯ beginnt von neuem, es besteht aber wieder die Mцglichkeit, ebenso wie frьher, einen scheinbaren Freispruch zu erwirken. Man muЯ wieder alle Krдfte zusammennehmen und darf sich nicht ergeben.« Das letztere sagte der Maler vielleicht unter dem Eindruck, den K., der ein wenig zusammengesunken war, auf ihn machte. »Ist aber«, fragte K., als wolle er jetzt irgendwelchen Enthьllungen des Malers zuvorkommen, »die Erwirkung eines zweiten Freispruchs nicht schwieriger als die des ersten?« »Man kann«, antwortete der Maler, »in dieser Hinsicht nichts Bestimmtes sagen. Sie meinen wohl, daЯ die Richter durch die zweite Verhaftung in ihrem Urteil zuungunsten des Angeklagten beeinfluЯt werden? Das ist nicht der Fall. Die Richter haben ja schon beim Freispruch diese Verhaftung vorgesehen. Dieser Umstand wirkt also kaum ein. Wohl aber kann aus zahllosen sonstigen Grьnden die Stimmung der Richter sowie ihre rechtliche Beurteilung des Falles eine andere geworden sein, und die Bemьhungen um den zweiten Freispruch mьssen daher den verдnderten Umstдnden angepaЯt werden und im allgemeinen ebenso krдftig sein wie die vor dem ersten Freispruch.« »Aber dieser zweite Freispruch ist doch wieder nicht endgьltig«, sagte K. und drehte abweisend den Kopf. »Natьrlich nicht«, sagte der Maler, »dem zweiten Freispruch folgt die dritte Verhaftung, dem dritten Freispruch die vierte Verhaftung, und so fort. Das liegt schon im Begriff des scheinbaren Freispruchs.« K. schwieg. »Der scheinbare Freispruch scheint Ihnen offenbar nicht vorteilhaft zu sein«, sagte der Maler, »vielleicht entspricht Ihnen die Verschleppung besser. Soll ich Ihnen das Wesen der Verschleppung erklдren?« K. nickte. Der Maler hatte sich breit in seinen Sessel zurьckgelehnt, das Nachthemd war weit offen, er hatte eine Hand daruntergeschoben, mit der er ьber die Brust und die Seiten strich. »Die Verschleppung«, sagte der Maler und sah einen Augenblick vor sich hin, als suche er eine vollstдndig zutreffende Erklдrung, »die Verschleppung besteht darin, daЯ der ProzeЯ dauernd im niedrigsten ProzeЯstadium erhalten wird. Um dies zu erreichen, ist es nцtig, daЯ der Angeklagte und der Helfer, insbesondere aber der Helfer in ununterbrochener persцnlicher Fьhlung mit dem Gericht bleibt.
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